
Robotik trifft THT Elektronikfertigung

Anlagenerweiterung durch robotergestützte Prozessverkettung
Beim einem der größten europäischen Mechatronik-Dienstleister wurde eine vollautomatische Erweiterung einer bestehenden THT-Fertigungslinie in Betrieb genommen. Gemeinsam mit dem Sondermaschinen- und Anlagenbauer haprotec GmbH aus Kreuzwertheim, entwickelten das Projektteam ein Konzept um eine Bestandsanlage um einen vollautomatischen Bestück-Strang, bestehend aus einer Kombination von Bestück-Automaten und Roboter-Bestückung, sowie jeweils zwei Test- & Vergussstationen zu erweitern.
Auf der bestehenden Fertigungslinie wird seit 2013 Leistungselektronik, primär für die E-Mobilität, produziert. Die Anlage verbindet zwei Lötanlagen mit manuellen Bestück-Arbeitsplätzen, Puffer- & AOI-Systemen. Schon damals gingen die beiden Unternehmen mutige Schritte bei der Verkettung von mehreren Prozessmaschinen, gesteuert und überwacht durch das damals neu entwickelte Zentrale Anlagen-Leitsystem von haprotec. Über die Jahre konnte die Anlage, dank der vorrausschauenden Planung der beiden Partner, immer wieder erweitert und weiterentwickelt werden.
Dann kam der Startschuss für den nächsten bis dato innovativsten und zukunftsweisendsten Ausbau-Schritt. Das verantwortliche Team hatte im Vorfeld in umfangreichen Planungsgesprächen den Grundstein gelegt und die Machbarkeit des Projekts ermittelt. Die sich ergebenden Anforderungen an Varianten und Taktzeit waren nicht weniger herausfordernd als die Maßgabe „THT-Bestückung ohne Menschen“. Von Anfang an war klar, dass die Steuerung und Traceability ausschließlich über das bereits weltweit etablierte Zentrale Leitsystem (ZLS) von haprotec realisiert werden soll. Zudem einigte man sich früh darauf das Anlagen-Konzept auf der hohen Flexibilität von 6-Achs-Robotern aufzusetzen.
„Ein solches Vorhaben ist wegweisend für unsere Branche und wird dem Projektteam, trotz der jahrelangen erfolgreichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit, alles abverlangen. Denn sowohl die technischen Anforderungen als auch der zeitliche Rahmen für dieses Projekt sind außergewöhnlich,“ so Peter Helmstetter, verantwortlicher Vertriebsmitarbeiter von haprotec.
Bestückung, Materialzuführung & Niederhalter-Handling
Die Bestückung der meisten THT-Bauteile erfolgt über einen integrierten Bestück-Automaten, wobei die Bestückung von einigen Komponenten, auf Grund ihrer Beschaffenheit, nur über einen zusätzlichen Roboter von haprotec ermöglicht werden kann. Bestückt wird sowohl vom Bestück-Automaten, als auch vom Bestück-Roboter, ausschließlich inline, bedeutet direkt im Werkstückträger auf dem Transportsystem.
Um das zu ermöglichen, musste ein Niederhalter-Handlings-System entwickelt werden, dass zu Beginn des Bestück-Prozesses, die Niederhalter vom Werkstückträger entnimmt und am Ende wieder aufsetzt. So entstanden zwei Portalsysteme mit Greifer und ein zusätzliches Transportsystem für die Niederhalter. Um platzoptimiert zu agieren wurde das Niederhalter-Handling über dem Bestück-Strang, mit Hilfe von zwei Türmen angebracht.
Dem Bestück-Roboter wird, um die geforderte Anlagenautonomie zu erreichen, eine Materialzuführung auf Basis eines automatischen Tray-Systems beigestellt. Über entsprechende Vision-Applikationen identifiziert der Roboter das Produkt, wählt das korrekte Bauteil, überprüft die Ausrichtung der bis zu zwölf Pins und bestückt dieses auf der Platine. Die Herausforderung bestand hier bei der Positionskorrektur vor dem Bestücken. Hier hat sich die Wahl eines 6-Achs-Roboters gegenüber einem klassischen Portalsystem als großer Vorteil erwiesen.
Christian Happ, Geschäftsführer von haprotec fasst zusammen, warum sein Unternehmen geeignet für diese Herausforderung ist.
„Im Regelfall sehen die Konzepte unserer Kunden im Bereich der THT-Automation die Bestückung von Bauteilen an manuellen Bestück-Arbeitsplätzen vor. Hierfür hat sich haprotec in den vergangenen Jahren besonders auf die Entwicklung von Assistenzsystemen zur Werker-Führung und Bestück-Kontrolle beschäftigt. In diesem Fall konnten wir uns für die anspruchsvolleren Anforderungen unseres Kunden auf unsere Erfahrungen aus dem zweiten Geschäftsbereich des Unternehmens, dem Sondermaschinenbau für Montage- & Prüftechnik verlassen. Hochpräzises Bauteilhandling in Taktzeiten von wenigen Sekunden gehören hier zur Tagesordnung. Wir können so beide Bereiche der Branche bedienen High-Volume Low-Mix und High-Mix Low-Volume.“
Tray-Handling, Tester & Dispenser
Die acht verschiedenen Grundprodukte werden in Tray-Stapeln dem Gesamtsystem zugeführt. Ein Roboter entnimmt die Einzelnen Platinen aus dem Tray und setzt sie in die leeren Werkstückträger auf dem Bestück-Strang. Nachdem ein Tray geleert wurde, übernimmt der Roboter das leere Tray und setzt es auf einen Zwischentransport und setzt anschließend die fertig gelöteten Platinen in die Trays. Durch die Entwicklung eines spezifischen Doppel-Greifers können alle Produkte und alle Tray-Varianten mit demselben Greifsystem gegriffen werden. Über den Zwischentransport wird das Produkt zum zweiten Roboter befördert. Dieser entnimmt die Platinen und setzt sie, je nach Zuordnung, in einen der beiden Tester. Nach erfolgreicher Testung setzt der Roboter das Produkt zurück in den Tray und übergibt es an den nächsten Roboter im System. Dieser übergibt die gelöteten und getesteten Produkte in einen von zwei Dispensern und anschließend mit dem gesamten Tray auf eine Auslaufstation.
Der Projektleiter auf Seiten des Kunden erklärt die Komplexität der Aufgabe. „Wir stehen als Planer stets vor denselben Herausforderungen. Die besten Prozesse für unsere Produkte zu evaluieren und diese so effizient wie möglich miteinander zu verketten. Die Effizienz zeigt sich in diesem Fall durch den verwendeten Platzbedarf, die hohe Produktvarianz bei gleichzeitig geringer Taktzeit und alles, ohne die Anlage von Hand umrüsten zu müssen. In der Zusammenarbeit mit haprotec sehen wir vor allem das Knowhow als Integrator von Prozessen aller Art als wertvoll.“
Kommunikation, Traceability & Liniensteuerung
Die gesamte Anlage kann im chaotischen Prinzip gefahren werden. Um die Programme zu laden, erfolgte eine direkte Kommunikation vom MES über das haprotec Leitsystem mit den Prozessmaschinen. Jeder Prozessschritt wird über RFID und DMC abgefragt und verifiziert. Umgekehrt werden alle produktionsrelevanten Daten über das zentrale Leitsystem ins MES zurückgeschrieben. Entlang der Produktionslinie kann so die gesamte Traceability sichergestellt werden.
„Auf Grund der Komplexität, des hohen Datenaufkommens und der Aufrechterhaltung des Produktionsbetriebs während der Inbetriebnahme der Erweiterung haben wir uns im Vorfeld mit unserem Kunden darauf geeinigt, das bestehende Leitsystem von 2013 durch die neueste Version zu ersetzen. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung in den letzten Jahren konnten wir die Funktionen des ZLS auf dem aktuellen Stand der Technik halten, was uns zum Beispiel eine Erprobung aller Schnittstellen durch eine Simulation des kundenspezifischen MES vor der eigentlichen Inbetriebnahme ermöglichte. So konnten wir den neuen Anlagenstrang reibungslos in die bestehende Linie integrieren“, so fasst Alexander Rose, Projekt- und Entwicklungsleiter bei haprotec die Vorteile einer modernen Anlagensteuerung zusammen.
Nach der erfolgreichen Umsetzung des Projekts viel im Anschluss nahezu direkt der Startschuss für die Planungsphase einer Schwester-Anlage. Man ist sich einig, dass sich das ursprünglich entwickelte Konzept bewährt hat und der richtige Weg in die Zukunft weißt.
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